"Als die Zeugin und der Beklagte sich zum Nordic Walking verabredeten - dies einmal unterstellt -, rechnete keiner damit, dass einer den anderen bei dem gemeinsamen Spaziergang verletzen könne. Aus der zum Nordic Walking gehörenden Benutzung der Stöcke drohte eine solche Gefahr nicht. Wie im landgerichtlichen Urteil anschaulich beschrieben, werden die Stöcke beim Nordic Walking nur unterstützend zum Gehen und eng am Körper geführt eingesetzt. Es droht also keine Gefahr aus einem raumgreifenden oder kraftvollen Gebrauch der Stöcke. Die gemeinsame Sportausübung führte auch nicht durch die örtlichen Gegebenheiten zu einer erhöhten Gefahr, wie sie sich bei gemeinsamem Radfahrtraining ergeben kann. An der Unfallstelle war der Spazierweg nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Beklagten etwa 2 m breit (Schriftsatz vom 26.06.2017 S. 5, Bl. 50 d. A.). Unwegsamkeit des Geländes, rutschigen Boden oder sonstige Umstände, aufgrund derer mit einer erhöhten Stolpergefahr hätte gerechnet werden müssen, werden nicht behauptet. Dann aber konnten die Zeugin und der Beklagte nebeneinander gehen, ohne befürchten zu müssen, den anderen zu gefährden oder von ihm gefährdet zu werden. Hierin liegt ein entscheidender Unterschied zu den Fällen des Radfahrens im Pulk. Dort weiß jeder Teilnehmer, dass der Sicherheitsabstand zwischen ihnen nicht gewahrt ist und auch nicht gewahrt werden kann, wenn sinnvoll Windschattenfahren geübt werden soll. Jedem ist deshalb bewusst, dass er den anderen gefährdet und selbst gefährdet wird.
Einen Haftungsausschluss vermag auch der Vortrag des Beklagten nicht zu begründen, dass Teilnehmer beim Nordic Walking nicht immer auf die Füße und den Boden schauten, sondern sich auch an der Landschaft erfreuten und sich unterhielten. Der Vortrag ist lebensnah, beschreibt aber ein Verhalten, das nicht notwendig zur Sportausübung gehört, sondern aus der Ablenkung beim Gang durch die Natur entsteht. Jeder Sportler / jede Sportlerin trägt jedoch selbst die Verantwortung dafür, inwieweit er oder sie sich von der sportlichen Betätigung ablenken lässt, und dafür, dass sich das Risiko eines Unfalls erhöht. Der Beklagte konnte also nicht damit rechnen, dass die Geschädigte ihm eine unkonzentrierte Sportausübung zubilligte und die ihr dadurch drohenden Gefahren in Kauf nahm.
Ebenso wenig kann der Beklagte damit gehört werden, dass bei mehreren 1000 Stockeinsätzen auf einer mehrere Kilometer langen Laufstrecke kein Maßstab angelegt werden dürfe, der es in jedem Fall ausschließe, dass man mit seinem eigenen Fuß gegen den Stock gerate. Eine solche Konzentration könne niemandem abverlangt werden. Auch dieses Vorbringen ist zunächst einmal nachvollziehbar. Lebensnah ist anzunehmen, dass der Walkende im Laufe der Tour erschöpfter und unkonzentrierter wird. Auch ist es vorstellbar, dass sich der Walkende beim Nordic Walking im Winter - wie hier (01.12.2013) - nach einiger Zeit etwa seiner Handschuhe entledigen oder seine Jacke öffnen will. Eine etwaige Schwächung der Konzentration oder von der sportlichen Betätigung unabhängige Verhaltensweisen senken jedoch nicht die Anforderungen an die eigenen Sorgfaltspflichten, sondern steigern dieselben mit Blick auf die erhöhten Gefahren für die eigene Sicherheit und die anderer. Gegebenenfalls erfordert die Gefahrenlage dann, dass der Sicherheitsabstand vergrößert wird."
vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 30.07.2020 - 6 U 46/18 (externer Link)