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Gerade öffentliche Gehwege und Verkehrsflächen sind wegen der begrenzten öffentlichen Mittel nicht immer in tadellosem zustand zu halten. Mehr würde die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Hand übertreffen. vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 15.01.2008 - 2 U 1/07 |
Rn. 9-1409 | Zitat (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 15.01.2008 - 2 U 1/07) ein-/ausblenden "Gehwege sind daher möglichst gefahrlos zu gestalten und in einem gefahrlosen Zustand zu erhalten. In Anbetracht des ausgedehnten Straßen- und Wegenetzes der öffentlich-rechtlichen Gebietskörperschaften und deren beschränkter Mittel sind lückenlose Sicherungsvorkehrungen praktisch gar nicht möglich und daher nur solche Maßnahmen zu treffen, für die ein wirkliches Sicherungsbedürfnis besteht. Dieses richtet sich im Wesentlichen nach der objektiven Verkehrsbedeutung der betreffenden Wegfläche und den vernünftigen Sicherheitserwartungen des Verkehrs, die maßgeblich durch das äußere Erscheinungsbild des Gefahrenbereiches bestimmt werden." vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 15.01.2008 - 2 U 1/07 (externer Link) | Rn. 9-1410 |
Allerdings wird die öffentliche Hand darlegen müssen, weshalb eine jahrelang bestehende gefährliche Situation faktisch nicht behoben werden konnte. Gerade bei gefährlichen Stellen - Fußgängerüberweg über eine von starkem Verkehr geprägten Straße mit unscharf abgegrenzten Gefahrenbereichen - wird die öffentliche Hand nämlich möglichst zeitnah tätig werden müssen. vgl. KG, Urteil vom 30.09.2011 - 9 U 11/11 |
Rn. 9-1411 | Zitat (KG, Urteil vom 30.09.2011 - 9 U 11/11) ein-/ausblenden "Dass dem Beklagten eine Instandsetzung des desolaten Überwegs jedoch aus Gründen fehlender finanzieller Leistungsfähigkeit über Jahre nicht möglich gewesen sei, wird nicht einmal ansatzweise dargelegt; hierzu fehlt jedweder Vortrag. Von daher kann offen bleiben, ob die Beschränktheit der öffentlichen Mittel ein - wenn auch nur zeitweiliges - völliges Untätigsein des Verkehrssicherungspflichtigen rechtfertigt (vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.1982, III ZR 174/81 = VersR 1983, 39 f., juris Tz. 13)." vgl. KG, Urteil vom 30.09.2011 - 9 U 11/11 (externer Link) | Rn. 9-1412 |
Ist eine Gefahrenstelle schon mit flüchtigem Blick erkennbar, soll keine Verpflichtung bestehen, vor dieser Stelle besonders zu warnen oder sie zu beleuchten oder zu markieren. vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 15.01.2008 - 2 U 1/07 |
Rn. 9-1413 | Zitat (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 15.01.2008 - 2 U 1/07) ein-/ausblenden "cc) Die unbeleuchtete Treppe war für den Kläger auch erkennbar, sodass eine Beleuchtung nicht erforderlich war, um auf die Gefahrenstelle aufmerksam zu machen. Bei einer Gefahrenstelle, die von einem durchschnittlich sorgfältigen Fußgänger bereits bei flüchtigem Hinsehen ohne weiteres bemerkt werden kann, ist die Gemeinde nicht verpflichtet, vor dieser zu warnen oder diese zu beseitigen (Bergmann/Schumacher, Die Kommunalhaftung, 4. Aufl., Rn. 129, 131; OLG Hamm, Urteil vom 16. Februar 1990, Az. 9 U 229/89; OLG Düsseldorf, VersR 1993, 983; LG Kleve, Urteil vom 27. Dezember 2002, Az. 1 O 399/02). Insofern wird auf die im Tatsächlichen zutreffenden Ausführungen im Urteil des Landgerichts (S. 5 f. des Urteilsumdrucks) Bezug genommen." vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 15.01.2008 - 2 U 1/07 (externer Link) | Rn. 9-1414 |
Allerdings rechtfertigt eine Erkennbarkeit einer schadhaften Situation nicht, jahrelang zuzuwarten, wenn auf der Hand liegt, dass die Situation derart gefährlich ist, dass es nur von der Zeit abhängt, dass jemand zu Schaden kommt. vgl. KG, Urteil vom 30.09.2011 - 9 U 11/11 |
Rn. 9-1415 | Zitat (KG, Urteil vom 30.09.2011 - 9 U 11/11) ein-/ausblenden "Bei Berücksichtigung dieser feststehenden Grundsätze hält der Senat eine Verkehrssicherungspflichtverletzung des Beklagten hier für gegeben, obwohl sich der fragliche Überweg auf dem Mittelstreifen in einem ohne weiteres erkennbar desolaten und daher quasi vor sich selbst warnenden Zustand befand. Der tatsächliche Zustand des Überwegs beim Sturz der Klägerin am 04.09.2009 ist dabei unstreitig; er entspricht den von beiden Parteien zu den Akten gereichten, im Anschluss an den Sturz der Klägerin vom 24.09.2009 gefertigten bereits oben in Bezug genommenen Fotos. Darauf ist zu erkennen, dass die Oberfläche der Betonplatten rissig und an verschiedenen Stellen aufgebrochen ist sowie Vertiefungen aufweist, die ausweislich eines von dem Beklagten als Anlage B1 eingereichten Fotos (Zollstock mit Wasserwaage) mitunter nicht nur den von der Klägerin für die konkrete Sturzstelle angegebene Niveauunterschied von 2 cm bis 2,5 cm sondern sogar ein solchen von 3,2 cm aufweist.
Dieser insgesamt desolate Zustand des Überwegs stellte in seiner Gesamtheit eine Stolper- und Sturzgefahr dar, die bei der von einem Fußgänger zu erwartender Sorgfalt zwar erkennbar, jedoch bei Benutzung nicht mehr sicher zu beherrschen ist. Völlig zutreffend stellt das Landgericht in diesem Zusammenhang fest, dass es lediglich eine Frage der Zeit sein konnte, bis ein Fußgänger auch bei noch so großer Vorsicht aufgrund der Unebenheiten des Weges stürzen würde. Hier kann offen bleiben, ob ein einzelner - für sich genommen aber gefahrträchtiger - Gehwegschaden dann hinzunehmen ist, wenn er mit einem Blick gut erkennbar und insoweit beherrschbar ist, indem der Fußgänger ihm einfach ausweicht (vgl. etwa OLG Thüringen, Beschluss vom 23.07.2008, 4 U 403/08 = NZV 2008, 525 f., juris Tz. 6). Dies war aufgrund des Gesamtzustandes des zur Querung der N... Straße angelegten Überwegs hier jedenfalls nicht mehr möglich, denn er ist insgesamt schadhaft und ein einfaches Ausweichen auf einen schadlosen Abschnitt war nicht möglich. In diesem Zusammenhang kann sich der Beklagte auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin von der Benutzung des Überwegs auf dem Mittelstreifen der N... Straße doch gänzlich hätte absehen können. Der Beklagte hat den Verkehr dort eröffnet, den bestehenden, ihm bekannten Zustand aber nicht zum Anlass genommen den Überweg zu sperren, wonach sie sich nicht darauf berufen kann, dass die Klägerin den Weg nicht hätte benutzen dürfen.
Abgesehen davon handelt es sich bei dem Fußgängerüberweg auf dem Mittelstreifen der N... Straße um einen übergeordneten Verkehrsbereich. Bei der Kreuzung der N... Straße mit der A... -Z... -Straße handelt es sich um eine große Kreuzung zweier jeweils mit einem Mittelstreifen angelegten großen Straßen. Darüber hinaus trägt der Beklagte selbst vor, dass es sich bei der Umgebung der N... Straße um ein Wohngebiet mit überwiegend älteren Bewohnern handelt und es die Möglichkeit des Überquerens der N... Straße in Höhe der A... -Z... -Straße gibt, um ein Einkaufscenter zu besuchen. Auch dies hätte der Beklagte zum Anlass nehmen müssen, den Überweg Instand zuhalten und ihn nicht über Jahre in einem Zustand zu belassen, der eine Gefahrenstelle ist. Dabei beurteilt sich das regelmäßige Verkehrsbedürfnis auch nicht nach einem durchschnittlichen Fußgänger, der Zustand der Gehwege hat auch (und gerade) den Belangen der schwächeren Verkehrsteilnehmer zu genügen. Daher ist bei dem anzulegenden und von dem Beklagten zu beachtenden Maßstab auch zu berücksichtigen, dass etwa in ihrer Bewegungs-, Seh- und Reaktionsfähigkeit eingeschränkte und daher bezüglich der sich hier realisierten Gefahr besonders anfällige ältere Menschen den Überweg benutzen werden.
Sodann sind die einzelnen Vertiefungen in der Betonoberfläche ausweislich der eingereichten Fotos (insbesondere Anlage B1) auch nicht so scharf umrissen, dass sie sich optisch derart abheben, so dass der aufmerksame Fußgänger - wenn auch die generelle Gefahr - jedoch nicht zwingend Einzelheiten des Gehwegprofils ohne weiteres in seiner konkreten Ausgestaltung zu erkennen vermag.
Hinzu kommt hier, dass sich der schadhafte Gehweg in einem Bereich befand, bei dem damit gerechnet werden musste, dass sich der sorgfältige Fußgänger bereits im besonderen Maße auf den Straßenverkehr und nicht so sehr auf die Beschaffenheit des Bodens konzentrieren wird. Das Maß der durch eine Gehwegunebenheit hervorgerufene Gefährdung sowie der für die Verkehrssicherungspflicht anzulegende Maßstab, beurteilt sich unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls und muss stets im Zusammenhang mit den Gesamtumständen der einzelnen Örtlichkeit gesehen werden. Liegen hierbei Umstände vor, die erwarten lassen, dass die Aufmerksamkeit des Verkehrsteilnehmers von der Bodenbeschaffenheit abgelenkt ist, so ist ein strengerer Maßstab anzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 20.01.1981, VI ZR 205/79 = VersR 1981, 482, juris Tz. 9). Der aufmerksame Fußgänger wird bei der Nutzung des auf dem Mittelstreifen angelegten Überwegs seinen Blick im Wesentlichen bereits auf den Fahrzeugverkehr der sogleich zu querenden zweiten Richtungsfahrbahn der N... Straße richten." vgl. KG, Urteil vom 30.09.2011 - 9 U 11/11 (externer Link) | Rn. 9-1416 |
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