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Die Elektrizität, die ein örtlicher Stromnetzbetreiber (nicht: Stromanbieter) dem Anschlussinhaber zuleitet, stellt ein Produkt im Sinne des Produkthaftungsgesetzes dar. vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 |
Rn. 9-903 | Zitat (BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13) ein-/ausblenden | Rn. 9-904 |
Die Niederspannungsanschlussverordnung konkretisiert in ihrem Anwendungsbereich die berechtigten Sicherheitserwartungen an das Produkt Elektrizität. vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 |
Rn. 9-905 | Zitat (BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13) ein-/ausblenden "Die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung vom 1. November 2006 (Niederspannungsanschlussverordnung - NAV, BGBl. I S. 2477, zuletzt geändert durch Art. 4 der Verordnung vom 3. September 2010, BGBl. I S. 1261) konkretisiert in ihrem Anwendungsbereich die berechtigten Sicherheitserwartungen an das Produkt Elektrizität (vgl. zu der Vorgängerverordnung AVBEltV Klein, BB 1991, 917, 920; ders., Die Haftung der Versorgungsunternehmen für Störungen in der Versorgungszufuhr, 1988, S. 247 f.; Schmidt-Salzer in Schmidt-Salzer/Hollmann, Kommentar zur EG-Richtlinie Produkthaftung, Band 1, 1986, Art. 2 Rn. 80 mit Fn. 48; Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearb. 2014, § 2 ProdHaftG Rn. 49). Gemäß § 16 Abs. 3 NAV hat der Netzbetreiber Spannung und Frequenz möglichst gleichbleibend zu halten; allgemein übliche Verbrauchsgeräte und Stromerzeugungsanlagen müssen einwandfrei betrieben werden können (siehe auch Ahnis/de Wyl, IR 2007, 77, 80; zu Spannung und Frequenz § 7 NAV, § 5 Abs. 1 Stromgrundversorgungsverordnung - StromGVV)." vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 (externer Link) | Rn. 9-906 |
Übermäßige Frequenz- oder Spannungsschwankungen können eine Haftung des Netzbetreibers auslösen. vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 |
Rn. 9-907 | Zitat (BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13) ein-/ausblenden "Es wird allgemein angenommen, dass zumindest bei übermäßigen Frequenz- oder Spannungsschwankungen eine Haftung nach § 1 ProdHaftG ausgelöst werden kann (vgl. Graf von Westphalen in Foerste/Graf von Westphalen, Produkthaftungshandbuch, 3. Aufl., § 47 Rn. 26; Lenz in Lenz, Produkthaftung, 2014, § 3 Rn. 299; Lorenz, ZHR 151 (1987), 1, 18; Kullmann in Kullmann/Pfister/Stöhr/Spindler, Produzentenhaftung, Kza 3603 II 1 [Stand: September 2008] und in ProdHaftG, 6. Aufl., § 2 Rn. 5; Mayer, VersR 1990, 691, 697; MüKoBGB/Wagner, 6. Aufl., § 2 ProdHaftG Rn. 3; Palandt/Sprau, aaO, § 2 ProdHaftG Rn. 1 aE; Staudinger/Oechsler, aaO, Rn. 45; Unberath/Fricke, NJW 2007, 3601, 3604)." vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 (externer Link) | Rn. 9-908 |
Wenn eine Überspannung zu Schäden an üblichen Verbrauchsgeräten führe, soll ein Verstoß gegen die berechtigten Sicherheitserwartungen vorliegen. vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 |
Rn. 9-909 | Zitat (BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13) ein-/ausblenden "Danach liegt ein Verstoß gegen die berechtigten Sicherheitserwartungen in das Produkt Elektrizität jedenfalls dann vor, wenn eine Überspannung wie im Streitfall zu Schäden an üblichen Verbrauchsgeräten führt (vgl. Ahnis/de Wyl, aaO; Hartmann in Danner/Theobald, Energierecht, IV., § 16 NAV Rn. 9 f. [Stand: Januar 2007]; de Wyl/Eder/Hartmann, Netzanschluss- und Grundversorgungsverordnungen, 2008, § 16 NAV Rn. 3). In diesem Fall ist der Bereich der Spannungsschwankungen, mit denen der Verkehr rechnen muss, nicht mehr eingehalten." vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 (externer Link) | Rn. 9-910 |
Hersteller ist auch der Stromnetzbetreiber, der den Strom von Mittelspannung auf Niederspannung wandelt und sodann über sein örtliches Verteilnetz an die Verbraucher verbreitet. vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 |
Rn. 9-911 | Zitat (BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13) ein-/ausblenden "e) Nach diesen Grundsätzen ist die Beklagte im Streitfall als Herstellerin des Produkts Elektrizität anzusehen. Dies ergibt sich bereits aus der Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte als Betreiberin des Stromnetzes in W. Transformationen auf eine andere Spannungsebene, nämlich die sogenannte Niederspannung für die Netzanschlüsse von Letztverbrauchern, vornimmt. In diesem Fall wird - anders als bei einem reinen Lieferungs- oder Weiterverteilungsunternehmen - die Eigenschaft des Produkts Elektrizität durch den Betreiber des Stromnetzes in entscheidender Weise verändert, weil es nur nach der Transformation für den Letztverbraucher mit den üblichen Verbrauchsgeräten nutzbar ist. Folgerichtig wird auch im Schrifttum angenommen, dass in einem solchen Fall der "Lieferant" der Elektrizität mit der von ihm geänderten Eigenschaft als Hersteller anzusehen ist (vgl. MüKoBGB/Wagner, aaO, Rn. 12; Klein, BB 1991, 917, 921; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, 2001, S. 141; Unberath/Fricke, aaO, 3605; für eine - regelmäßig gegebene - Haftung nach § 4 Abs. 3 ProdHaftG Witzstrock, VersR 2002, 1457, 1460)." vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 (externer Link) | Rn. 9-912 |
Der Netzbetreiber bringt das Produkt in den Verkehr, sobald der Strom sein eigenes Netz verlässt und in den Privathaushalt geht. Da der Hausanschluss noch dem Netzbereiber zuzuordnen ist, kommt es also bei dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens darauf an, dass der Strom fehlerfrei ist, wenn er über den Hausanschluss in das Gebäude gelangt. vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 |
Rn. 9-913 | Zitat (BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13) ein-/ausblenden "Im Hinblick darauf liegt ein Inverkehrbringen des Produkts Elektrizität erst mit der Lieferung des von dem Netzbetreiber übergabefähig transformierten Stroms über den Netzanschluss an den Anschlussnutzer vor (vgl. Katzenmeier in Dauner-Lieb/Langen, aaO; Klein, BB 1991, 917, 923; ders., Die Haftung der Versorgungsunternehmen für Störungen in der Versorgungszufuhr, 1988, S. 245, 250 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten Energiewirtschaftsrecht, 2001, S. 142). Denn aus der Niederspannungsanschlussverordnung ergibt sich, dass der Netzbetreiber gerade für die Stromqualität am Netzanschluss verantwortlich ist. Der Netzanschluss verbindet das Elektrizitätsversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung mit der elektrischen Anlage des Anschlussnehmers. Er beginnt an der Abzweigstelle des Niederspannungsnetzes und endet grundsätzlich mit der Hausanschlusssicherung (vgl. § 5 NAV). Netzanschlüsse werden durch den Netzbetreiber hergestellt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 NAV). Sie gehören noch zu den Betriebsanlagen des Netzbetreibers (§ 8 Abs. 1 Satz 1 NAV). Die Nutzung durch den Letztverbraucher mit den üblichen Verbrauchsgeräten beginnt mithin beim Netzanschluss und setzt einen fehlerfreien Strom zum Zeitpunkt der Entnahme des Stroms aus dem Elektrizitätsversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung voraus. Nur dies wird den Interessen der durch die Richtlinie 85/374/EWG geschützten geschädigten Anschlussnutzer gerecht, für die entscheidend ist, dass ihnen eine fehlerfreie Elektrizität über ihren Stromanschluss zur Verfügung gestellt wird. " vgl. BGH, Urteil vom 25.02.2014 - VI ZR 144/13 (externer Link) | Rn. 9-914 |
Es kommt nicht darauf an, worauf der Produktfehler beruht. Auch wenn der Fehler des Stroms z. B. aus einem angeschlossenen Netz (z. B. Windenergieanlage) entstamme, entbinde das nicht von der Verantwortlichkeit, weil es sich hierbei um eine verschuldensunabhängige Haftung handele. vgl. AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21 |
Rn. 9-915 | Zitat (AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21) ein-/ausblenden "5. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass der eigentliche Erd- und Kurzschluss aus dem alleinigen Verantwortungsbereich des Herrn H. als Betreiber einer Windkraftanlage im Bereich O. herrühre und dass sie ihrerseits unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen ergriffen habe, um die Auswirkungen des Störfalles abzustellen, vermag sie hiermit im Bereich des Produkthaftungsgesetzes nicht durchzudringen. Denn bei der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung, bei welcher allein auf den Fehler des Produkts abzustellen ist und nicht darauf, ob und gegebenenfalls welcher Fehler dem Produktionsvorgang selbst oder den nachfolgenden Prozessen angehaftet haben (vgl. BGH, NJW 2014, 2106, 2107, juris Rn. 11)." vgl. AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21 (externer Link) | Rn. 9-916 |
Da bei der Stromversorgung an Endkunden das Inverkehrbringen mit der Übergabe am Hausanschluss erfolgt und hier bereits in der Regel der fehlerhafte Strom anliegt, weil er irgendwie - z. B. durch Erdschluss, Blitzeinschlag ins Netz etc. - verformt wurde, kommt ein Haftungsausschluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG nicht in Betracht. vgl. AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21 |
Rn. 9-917 | Zitat (AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21) ein-/ausblenden "Ein Ausschluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdhaftG scheidet deswegen aus, weil die Elektrizität als Produkt nicht bereits mit der Einspeisung in das Niederspannungsnetz, sondern erst mit der Lieferung des von dem Netzbetreiber übergabefähig transformierten Stroms über den Netzanschluss an den Anschlussnutzer als in den Verkehr gebracht gilt (BGH, NJW 2014, 2106, 2108 f., juris Rn. 20 f. m.w.N.). Der dem Kläger über dessen Netzanschluss zur Verfügung gestellte Strom als Produkt war vorliegend aber bereits zu diesem Zeitpunkt fehlerhaft. Auch ein etwaiger Haftungsausschluss oder eine Haftungsbeschränkung nach den allgemeinen Anschlussbedingungen haben im Rahmen der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz keine Auswirkung, da entsprechende allgemeine Geschäftsbedingungen insoweit gemäß § 14 ProdhaftG nichtig sind." vgl. AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21 (externer Link) | Rn. 9-918 |
Vertragliche Haftungsausschlüsse (auch in AGB) wären unwirksam gemäß § 14 ProdHaftG. vgl. AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21 |
Rn. 9-919 | Zitat (AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21) ein-/ausblenden "Auch ein etwaiger Haftungsausschluss oder eine Haftungsbeschränkung nach den allgemeinen Anschlussbedingungen haben im Rahmen der Haftung nach dem Produkthaftungsgesetz keine Auswirkung, da entsprechende allgemeine Geschäftsbedingungen insoweit gemäß § 14 ProdhaftG nichtig sind." vgl. AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21 (externer Link) | Rn. 9-920 |
Es liegt auch kein betriebsfremder, auf höherer Gewalt beruhender, Störfall vor, der eine Haftungsausnahme darstellen könnte, wenn ein angeschlossenes, das Netz speisendes Windkraftwerk den Fehlerstrom einspeist. vgl. AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21 |
Rn. 9-921 | Zitat (AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21) ein-/ausblenden "Anders als in dem vom Landgericht Essen am 18.01.2018 entschiedenen Fall, in welchem eine Hochspannungsleitung durch einen betriebsfremden Schiffskran beschädigt worden war (LG Essen, Urteil vom 18.01.2018 - 6 O 385/17 - juris Rn. 40 ff.), handelt es sich bei der hier vorgetragenen Störung in der Schaltanlage einer privaten Windkraftanlage jedoch nicht um einen betriebsfremden Störfall durch höhere Gewalt im Sinne der Norm. Abzustellen ist insoweit auf die Verkehrsauffassung der einschlägigen Kreise. Zumindestens in dem Falle, dass wie hier das Stromversorgungsunternehmen entsprechend seiner diesbezüglichen Verpflichtung nach den §§ 2 Abs. 1, 11 Abs. 1 EEG (Gesetz für den Ausbau erneuerbarer Energien) den Strom eines privaten Stromerzeugers erneuerbarer Energien abnimmt und einspeist, ist nach der Verkehrsanschauung, insbesondere auch aus Sicht des Endverbrauchers nicht von einer Betriebsfremdheit eines im Zusammenhang mit einer solchen Anlage eingetretenen Störfalles auszugehen. Denn ungeachtet ihres Bedarfs müssen die Betreiber öffentlicher Netze nicht nur allen Strom, der von in Deutschland betriebenen Anlagen nach dem EEG gewonnen wird, mit Vorrang vor solchem Strom abnehmen und einspeisen, der aus anderen Energiequellen erzeugt wird. Sondern die Netzbetreiber sind darüber hinaus verpflichtet, ihre Netze jeweils ausreichend auszubauen, so dass sie den bevorrechtigten Strom aufnehmen können, es sei denn, die Maßnahmen wären wirtschaftlich unzumutbar (§ 9 EEG)." vgl. AG Steinfurt, Urteil vom 06.04.2022 - 21 C 135/21 (externer Link) | Rn. 9-922 |
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