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Auch für Radfahrer gilt das Sichtfahrgebot. Beachtet ein Radfahrer das Sichtfahrgebot nicht, begründet das ein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB), wobei das nach den allgemeinen Regeln vom Schädiger zu beweisen ist. Allerdings darf der Verkehrssicherungspflichtige davon ausgehen, dass Radfahrer sich an das Sichtfahrgebot halten, so dass er daran ausgerichtet die für Radfahrer eröffneten Verkehrswege planen, einrichten und unterhalten kann. vgl. OLG Oldenburg im Urteil vom 05.09.2008, Az. 6 U 189/07 |
Rn. 9-1888 |
Die Geltung des Sichtfahrgebotes für Radfahrer ist absolut herrschende Meinung. Danach muss er innerhalb der überschaubaren Sichtweite anhalten können - ggfls. auch bei engen Strecken mit möglichem Gegenverkehr innerhalb der halben Sichtweite. Allerdings ist auch das Sichtfahrgebot des Radfahrers durch den Vertrauensgrundsatz begrenzt. Muss der Radfahrer mit Hindernissen nicht rechnen, kann ihm ein Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nicht als Mitverschulden angelastet werden. vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.06.2021 - 7 U 89/20 |
Rn. 9-1889 | Zitat (OLG Hamm, Urteil vom 25.06.2021 - 7 U 89/20) ein-/ausblenden "Das Sichtfahrgebot, das auch für Fahrradfahrer gilt, verlangt, dass der Fahrer vor einem Hindernis, das sich innerhalb der übersehbaren Strecke auf der Straße befindet, anhalten kann. Er muss beim Fahren auf Sicht dementsprechend prüfen, wie weit er sehen und ob er mit der gefahrenen Geschwindigkeit noch rechtzeitig anhalten kann, wenn im sich beim Fahren regelmäßig in Fahrtrichtung verschiebenden Sichtbereich - genauer am Ende der sich verschiebenden übersehbaren Strecke - ein Hindernis auf der Fahrbahn erscheint. Maßgeblich ist damit, dass der Fahrer innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten kann. Nur auf gegebenenfalls erst aus wenigen Metern erkennbare Objekte muss der Fahrer seine Geschwindigkeit - bei allerdings Anwendung eines strengen Maßstabs hinsichtlich der Erkennbarkeit - nicht einrichten. Insoweit wird das Sichtfahrgebot durch den Vertrauensgrundsatz für solche Hindernisse begrenzt, mit denen der Fahrer unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt rechnen muss. Dies betrifft etwa Hindernisse, die wegen ihrer besonderen Beschaffenheit ungewöhnlich schwer erkennbar sind oder deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist und auf die nichts hindeutet. Ein Radfahrer ist demnach nicht verpflichtet, lückenlos den unmittelbar vor seinem Rad liegenden Bereich noch gezielt im Auge zu behalten und auf Hindernisse zu überprüfen, die - bei an sich übersichtlicher Lage - aus größerer Entfernung noch nicht zu erkennen waren (so BGH, Urt. v. 23.04.2020 - III ZR 251/17, VersR 2020, 1062 Rn. 37 m. w. N.)." vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.06.2021 - 7 U 89/20 (externer Link) | Rn. 9-1890 |
Bei Hindernissen auf dem Radweg, die grundsätzlich erkennbar sind, kommt deshalb durchaus ein Mitverschulden des Radfahrers von 50% in Betracht. vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.06.2021 - 7 U 89/20 |
Rn. 9-1891 | Zitat (OLG Hamm, Urteil vom 25.06.2021 - 7 U 89/20) ein-/ausblenden "Das ca. 20m quer über den Radweg verlaufende 4 cm dicke Erdkabel war für die Klägerin weder schwer erkennbar noch überraschend. Vielmehr haben die von der Klägerin erkannten tatsächlichen Umstände deutlich Anlass geboten, den unmittelbar vor ihrem Rad liegenden Bereich gezielt im Auge zu behalten und auf Hindernisse zu überprüfen. So hatte die Klägerin ihren eigenen Angaben zufolge sowohl erkannt, dass sie einen Baustellenbereich durchfuhr, als auch konkret das lose Erdkabel am Rand des Radweges wahrgenommen. Sie ist eine Strecke von jedenfalls mehr als 10 Metern neben ihm hergefahren. Dabei hat sie offenbar schlicht darauf vertraut, das Kabel werde auch weiter neben dem Radweg verbleiben. Nur so lässt sich erklären, dass sie es gerade nicht im Blick behalten hat, mit unverminderter Geschwindigkeit weitergefahren ist und daher den Querverlauf zu spät erkannt hat, obwohl dieser mangels Sichtbehinderung und - wie die nach dem Unfall angefertigten und in Augenschein genommenen Lichtbilder (Bl. 8 f. BeiA) belegen - durch den Farbunterschied zwischen hellem Asphaltbelag und dunklem Kabel unproblematisch von weitem erkennbar war. Infolgedessen hat sie durch ihr nicht situationsangepasstes Verhalten maßgeblich zum Sturzgeschehen beigetragen.
c.
Bei wertender Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge stehen sich diese gleichwertig gegenüber. Es handelt sich jeweils um deutliche Verstöße, da sich sowohl der Beklagte als auch die Klägerin den zwanglos erkennbaren Gefahrensituationen verschlossen und naheliegende Vorkehrungen unterlassen haben.
Folglich haftet der Beklagte der Klägerin nach einer Quote von 50 % bzw. ist bei der Schadensbemessung der Höhe nach ein Eigenverschulden der Klägerin im Umfang von 50 % zu berücksichtigen." vgl. OLG Hamm, Urteil vom 25.06.2021 - 7 U 89/20 (externer Link) | Rn. 9-1892 |
Das Sichtfahrgebot gilt auch bei Dunkelheit. Denn hier hat der Verkehrsteilnehmer entsprechend den gesetzlichen Vorgaben und auch im Eigeninteresse mit einer ausreichenden Beleuchtung zu fahren, die es ihm ermöglicht, auf Hindernisse zu reagieren, indem er sie entweder umfährt oder vor ihnen anhält. vgl. OLG Hamm im Urteil vom 29.08.2014, Az. 9 U 78/13 |
Rn. 9-1893 | Zitat (OLG Hamm im Urteil vom 29.08.2014, Az. 9 U 78/13) ein-/ausblenden "Den Kläger trifft allerdings ein Eigenverschulden bzw. ein Mitverschulden, das bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sowie bei den übrigen Schadenspositionen als Quote gemäß § 254 BGB zu berücksichtigen ist.
Man kann dem Kläger nicht vorwerfen, den Weg überhaupt benutzt zu haben, nachdem seitens der Stadt N dieser Weg zur Benutzung freigegeben und Bestandteil eines überregionalen Radfernwanderweges ist. Die Benutzung des unbeleuchteten Weges erfordert vom Nutzer aber - insbesondere bei Dunkelheit - erhöhte Aufmerksamkeit und die Beachtung des Sichtfahrgebots.
Ausweislich des Ergebnisses des lichttechnischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. T, das aus sich heraus verständlich ist, und gegen welches die Parteien keine Einwände erhoben haben, war die Gefahrenstelle mit der am Fahrrad des Klägers angebrachten Halogenbeleuchtung aus einer Entfernung von 10 m erkennbar. Der Kläger hätte daher aus einer Geschwindigkeit von 15 km/h vor der Gefahrenstelle noch anhalten können. Ein Ausweichen war aus einer Geschwindigkeit von bis zu 25 km/h noch möglich. Ausgehend von der von dem Kläger angegebenen Fahrgeschwindigkeit von etwa 20 km/h hätte der Kläger bei Aufbietung der erforderlichen Aufmerksamkeit den Sturz vermeiden können.
Das Sichtfahrgebot erfüllt nur seinen Zweck, wenn der Radfahrer die vor ihm liegende Fahrstrecke stets aufmerksam beobachtet. Ist er von seiner Umgebung abgelenkt oder erfordert der befahrene Weg stete Aufmerksamkeit, etwa deswegen, weil er, wie hier, erstmals befahren wird, dann muss der Radfahrer dem dadurch Rechnung tragen, dass er seine Geschwindigkeit noch weiter reduziert. Der bei Einhaltung der Geschwindigkeit auf Sicht vorausschauende Blick nach vorn ermöglicht rechtzeitig das Erkennen der Gefahrenstelle aus 10 m Entfernung. Das erfordert keinen Tunnelblick auf die Gefahrenstelle, sondern erlaubt gleichzeitig die Wahrnehmung des Randgeschehens. Hat der Kläger sich an diese Vorgaben gehalten, dann ist die unterbliebene Reaktion auf die Asphaltkante der mangelnden Aufmerksamkeit des Klägers geschuldet." vgl. OLG Hamm im Urteil vom 29.08.2014, Az. 9 U 78/13 | Rn. 9-1894 |
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