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-> Tierhalter- & -hüterhaftung
-> Mitverschulden / mitwirkende Tiergefahr
-> Mitverschulden, § 254 Abs. 1 BGB
Ein Tier - z. B. eine Hundeleine - ist so zu halten, dass auch bei unberechnenbarer tierischer Reaktion dem Tierführer keine Verletzung zugefügt wird. Anderenfalls hat er ein erhebliches Mitverschulden zu verantworten. vgl. AG Offenbach am Main, Urteil vom 12.05.2014 - 38 C 205/13 |
Rn. 9-1094 | Zitat (AG Offenbach am Main, Urteil vom 12.05.2014 - 38 C 205/13) ein-/ausblenden "Dies ändert aber nichts daran, dass die Klägerin dieser Situation hätte gewachsen sein müssen, ohne sich zu verletzen, jedenfalls hätte die Klägerin die Leine in einer Art und Weise halten müssen, dass ihr ihr eigener Hund auch bei stärkerem Zug keine Verletzung hätte zuführen können." vgl. AG Offenbach am Main, Urteil vom 12.05.2014 - 38 C 205/13 (externer Link) | Rn. 9-1095 |
Allein der Umstand, dass ein Hund nicht angeleint war, bedeutet nicht automatisch ein Mitverschulden des Tierführers des geschädigten. Denn es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein angeleinter Hund stets von einer Hundebeißerei abgehalten werden kann. vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2015 - VI ZR 23/15 |
Rn. 9-1096 | Zitat (BGH, Urteil vom 27.10.2015 - VI ZR 23/15) ein-/ausblenden "Zwar hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Hund des Klägers nicht angeleint war. Das führt aber jedenfalls deshalb nicht zu einer Anspruchskürzung, weil den Mitverschuldenseinwand nur ein Verhalten begründet, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder dessen Umfang beigetragen hat (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteile vom 24. September 2013 - VI ZR 255/12, VersR 2014, 80 Rn. 7 mwN und vom 28. April 2015 - VI ZR 206/14, VersR 2015, 767 Rn. 10; BGH, Urteil vom 20. Februar 2013 - VIII ZR 339/11, VersR 2014, 252 Rn. 34 mwN). Eine solche Feststellung hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Es ist nicht davon ausgegangen, dass die Beißerei verhindert worden wäre, wenn der Hund angeleint gewesen wäre. Daran ist der Senat gebunden (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Anschlussrevision zeigt keinen gegenteiligen Sachvortrag des Beklagten auf. Soweit sie sich auf einen allgemeinen Erfahrungssatz beruft, verkennt sie, dass es von den Umständen des Einzelfalles abhängt, ob derjenige, der einen Hund an der Leine führt, gehalten ist, das Tier bei einer Begegnung mit einem anderen Hund zurückzuziehen, und ob er dadurch einen Angriff des anderen Hundes verhindern kann." vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2015 - VI ZR 23/15 (externer Link) | Rn. 9-1097 |
Kommt es zu einer Hundebeißerei zwischen zwei oder mehreren Hunden, kann ein haftungsvernichtendes Eigenverschulden des Halters vorliegen, der in die Beißerei eingreift. Das soll zumindest dann gelten, wenn kein begründeter Anlass zur Sorge, dass ernsthafte Verletzungen drohen, besteht. vgl. LG Köln, Urteil vom 24.01.2008 - 37 O 610/07 |
Rn. 9-1098 | Zitat (LG Köln, Urteil vom 24.01.2008 - 37 O 610/07) ein-/ausblenden "Das Gericht erachtet es als leichtfertig, in den Kampfbereich zweier Hunde einzugreifen, so dass die Haftung der Beklagten entällt. Der Kläger hat sich durch sein eigenes Verhalten in den Gefahrenbereich begeben und damit die eigene Verletzung billigend in Kauf genommen. Hätte er den Hund der Beklagten nicht festgehalten, wäre es nicht zu der Verletzung gekommen. Das Mitverschulden ist im vorliegenden Falle als so erheblich einzuschätzen, weil der Kläger keinen tragfähigen Grund auf seiner Seite hat, der das Eingreifen rechtfertigen könnte. Selbst wenn man -entgegen der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts- auf die Belange des Eigentümers abstellt, der seinen Hund vor erheblichen Verletzungen durch einen anderen Hund schützen will, und letzteres als anerkennenswerten Grund für das Eingreifen im Rahmen der Abwägung gemäß § 254 BGB ansähe (so LG Flensburg, NJWE-VHR 1997, 192; a.A. LG Stade a.a.O.), dann lägen die entsprechenden Voraussetzungen nicht vor. Soweit in der Rechtsprechung auf den vorgenannten Aspekt abgestellt wurde, lag eine Situation vor, in der ein ungleicher Kampf zwischen dem schwächeren Tier des späteren verletzten Eigentümers und einem stärkeren Tier stattgefunden hat und andere Möglichkeiten zur Trennung der Hunde nicht zur Verfügung standen (LG Flensburg a.a.O.). Eine solche Situation, die nur durch ein Eingreifen des späteren Vereletzten zu beenden war, lag nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts nicht vor.
" vgl. LG Köln, Urteil vom 24.01.2008 - 37 O 610/07 (externer Link) | Rn. 9-1099 |
Das OGL Köln hat die Entscheidung des LG Köln (37 O 610/07) zum haftungevernichtenden Eigenverschulden durch das leichtfertige Eingreifen bestätigt. vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10.11.2008 - 3 U 37/08 |
Rn. 9-1100 | Zitat (OLG Köln, Beschluss vom 10.11.2008 - 3 U 37/08) ein-/ausblenden "Die zulässige Berufung hat aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch das Berufungsvorbringen nicht entkräftet werden, keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ebenfalls nicht erforderlich ( § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO)." vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10.11.2008 - 3 U 37/08 (externer Link) | Rn. 9-1101 |
Nach einer Stressssituation des Tieres (Hundebeißerei) kann es mehrere Minuten dauern, bis das eigene Tier den Halter wiedererkennt. Danach ist es das Sinnvollste, das Tier durch Abdecken von äußeren Einflüssen abzuschotten und abzuwarten. Ein Halter, der sich unmittelbar nach einer solchen Stresssituation dem eigenen Tier sorglos nähert, ohne mit Beißreflexen zu rechnen, hat sich nach Ansicht des OLG Naumburg ein eigenes Mitverschulden anrechnen zu lassen. Aufgrund der Nachvollziehbarkeit der Sorge um das eigene Tier muss dieser Sorgfaltspflichtverstoß indes nicht hoch bewertet werden, sondern kann mit 25% angesetzt werden. vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23.04.2014 - 1 U 115/13 |
Rn. 9-1102 | Zitat (OLG Naumburg, Urteil vom 23.04.2014 - 1 U 115/13) ein-/ausblenden "Nach den Feststellungen des Sachverständigen B. hätte sich der Kläger dem angegriffenen und verletzten Hund nur sehr aufmerksam und jederzeit mit einem Biss rechnend nähern dürfen. Am besten hätte der Kläger das Tier zugedeckt und abgewartet. Es dauere mehrere Minuten, bis Hunde nach einer derartigen Auseinandersetzung ihren Halter wiedererkennen würden. Der Kläger habe sich durch sein unvorsichtiges Handeln der Gefahr ausgesetzt, für den Angreifer gehalten zu werden. Nach Auffassung des Senats hätte der Kläger diese Gefahr erkennen und den Schaden vermeiden können, was der Kläger in der mündlichen Verhandlung letztlich auch einräumte." vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23.04.2014 - 1 U 115/13 (externer Link) | Rn. 9-1103 |
Nach Ansicht des OLG Celle soll im Fall der Verletzung durch das eigene Tier nach einer Stresssituation (dort: Verkehrsunfall durch Überfahren des Tieres), die das eigene Tier durchmachen musste, kein eigenes Mitverschulden des Geschädigten nach §254 BGB zu berücksichtigen sein, sondern nur eine mitwirkende Tiergefahr des eigenen Tieres §§ 254, 833 BGB. Das erscheint richtig, weil der BGH auch im Rahmen des Mitverschuldens eines Radfahrers und des Nichttragens eines Helms auf das allgemeine Verkehrsbewusstsein abgestellt hat (BGH, Urteil vom 17.06.2014, Az. VI ZR 281/13). Nun dürfte es so sein, dass es kein allgemeines Verkehrsbewusstsein der Hundehalter gibt, dass man sich dem Hund nach einer Stresssituation zunächst nicht nähern soll; vielmehr wird die Fürsorge zum unbedachten Suchen von Nähe zum Tier verleiten. vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23.04.2014 - 1 U 115/13 |
Rn. 9-1104 | Zitat (OLG Naumburg, Urteil vom 23.04.2014 - 1 U 115/13) ein-/ausblenden "b) Die Klägerin unterfällt ebenfalls einer Gefährdungshaftung für die von dem Hund ausgehende Tiergefahr gemäß § 833 S. 1 BGB. Durch das Überfahren des Hundes und das daraufhin erfolgte Beißen des Zeugen B. hat sich eine typische Tiergefahr realisiert (vgl. Senat, Teilurteil vom 20. Januar 2016 – 14 U 128/13, Rn. 59 - 61, juris, zur Tiergefahr eines Pferdes). Das Tier, das durch das Überfahren durch das Beklagtenfahrzeug in eine konkrete Lebensgefahr gebracht wurde, begegnete dieser Situation mit einem instinkthaften Beißreflex. Das ist Ausdruck tierischer Unberechenbarkeit, die den Grund der Gefährdungshaftung des Halters bildet (vgl. Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 23. April 2014 – 1 U 115/13, Rn. 13, juris)." vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 23.04.2014 - 1 U 115/13 (externer Link) | Rn. 9-1105 |
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